Die Schere zwischen Arm und Reich

Offene Schere
In Südtirol wächst die Zahl „sozial-schwacher“, also armer Menschen. 16 Prozent der Haushalte leben in „relativer Armut“.

Der Direktor des Arbeitsförderungsinstituts AFI, Stefan Perini, spricht von versteckter Armut. 35.000 Haushalte verfügen über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltseinkommens. Ohne Wohngeld, soziales Mindesteinkommen und Renten würde die Zahl relativ armer Menschen auf ein erschreckendes Viertel steigen.
Zu diesen Haushalten zählen kinderreiche Familien, Arbeitnehmerfamilien mit nur einem oder geringem Lohn, Alleinerziehende, Rentner, Zugewanderte und Arbeitslose. Frauen sind dabei stärker als Männer betroffen und besonders Kinder. Sind die Eltern von Armut betroffen und fehlen Aufstiegs- und Bildungschancen, bleiben meist auch die Kinder ihr ganzes Leben lang arm.
Diese Zahlen zeigen deutlich auf, wie wenig vom Boom der letzten Jahre nach „unten“ weitergeben wurde. Von der guten Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre haben lange nicht alle profitiert – im Gegenteil“, sagt Stefan Perini, Direktor des -Arbeitsförderungsinstituts. Laut Perini ist die Entlohnung in der Privatwirtschaft von 2010 bis 2017 spürbar geschrumpft. Zugenommen haben befristete Arbeitsverträge, teure Mieten und Lebenshaltungskosten. Perini kommt zum Schluss: „Armut in Südtirol ist zu einem guten Teil hausgemacht. Wohlstand und Reichtum wachsen, doch wächst ebenso die Ungleichheit in unserem Land.“
Laut dem Arbeitsförderungsinstitut verdienen mehr als 13.000 Südtiroler mehr als 75.000 Euro brutto pro Jahr. Mehr als 113.000 Südtiroler hingegen verdienen deutlich weniger. Die „Mittelschicht“, Perini nennt sie einen Garanten für Wohlstand, Wachstum und Stabilität, verliert an stabilem Boden.
Mit Arbeiten allein wird man nicht reich, sagt Susanne Elsen, Professorin für Soziologie an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen und Expertin für Solidarische Ökonomie: „Die wirklich Reichen sind reich wegen ihres Vermögens. Die Besteuerung muss hin zu den Vermögen gelenkt werden, damit sich Arbeit wieder auszahlt. Auch ein bedingungsloses Grundeinkommen würde ganz andere Lebensmodelle ermöglichen“.
Für das Arbeitsförderungsinstitut AFI muss das ungleiche Einkommen durch Transferleistungen des Landes ausgeglichen werden. Dreh- und Angelpunkt der Bekämpfung von Armut bleibt aber weiterhin eine gute Ausbildung und eine gerechte Entlohnung, wirbt AFI-Direktor Perini für höhere Löhne: „Die Löhne müssen gerecht sein und mit den Lebenshaltungskosten steigen“, sagt Perini vom AFI. Das Bildungssystem muss jungen Menschen optimale Entwicklungschancen bieten. Und, Investitionen in soziale Infrastrukturen und Dienstleistungen, zum Beispiel Kinderbetreuung, müssen dafür sorgen, dass sie qualitätsvoll, leistbar und für alle zugänglich sind.

Niedrige Löhne, wachsende Armut
Direktor Stefan Perini des Arbeitsförderungsinstituts drängt auf höhere Löhne.
Warum nimmt trotz relativer Vollbeschäftigung die Armut zu?
Stefan Perini: Die Löhne sind für eine Reihe von Berufen so niedrig, dass man wegen der hohen Lebenshaltungskosten auch mit einem Vollzeitjob kaum über die Runden kommt. Zwischen 30 und 40 Prozent der befragten Arbeitnehmer bestätigen dem AFI, dass sie Schwierigkeiten haben, mit dem Einkommen über die Runden zu kommen.
Die Wirtschaft gibt den Reichtum nicht weiter?
Stefan Perini: Es gibt Luft nach oben. Die Arbeitnehmer wurden vom wirtschaftlichen Aufschwung des letzten Jahrzehnts bestenfalls gestreift.

Was tun?
Stefan Perini: Wir brauchen einen „Südtiroler Mindestlohn“. Auch die Steuerhinterziehung muss eingedämmt werden. Wir benötigen ein Landes-Modell der sozialen Grundsicherung und mehr Investitionen in die außerschulische Bildung, in Betreuungs- und Pflegedienste. Ein Kurswechsel ist notwendig, weg vom Prinzip „finanzielle Beiträge für alle“, hin zu „Grunddienstleistungen für alle“.