"Finanzwissenschaftler Prof. Lanzavecchia wirbt für das Modell des Ethicalbanking"
Eine Bank für das Gemeinwohl
Professor Lanzavecchia von der Universität Padua gibt sich optimistisch. Bei seinem Südtirol-Besuch verweist er auf die neuen Akzente in der EU-Wirtschaftspolitik des New Green Deals mit ihrer Nachhaltigkeitsphilosophie. So sollen in der Landwirtschaft neue Kriterien gelten, mehr Ökologie.Aber auch in der Finanzwirtschaft wird ein Umdenken angeregt, ethisches und nachhaltiges Anlegen. Professor Lanzavecchia lobt deshalb das Pionierprojekt des Ethicalbankings der Raiffeisenkasse Bozen. Seit einem Vierteljahrhundert probt die Kasse ein neues Spar- und Investitionsmodell. Erfolgreich, der Trend geht immer noch nach oben, bestätigt Ethik-Banker Roland Furgler.
Lässt sich die Finanzwirtschaft reformieren, zugunsten der Sparer, der mittelständischen Wirtschaft, zugunsten nachhaltiger Wirtschaftsformen? Fragen sich Verbraucherschützer und kritisieren, dass oft ethisches und nachhaltiges Anlegen Augenwischerei und Ablasshandel sei, um das schlechte Gewissen zu beruhigen.
Können die gesparten Euro tatsächlich ethisch korrekt und nachhaltig vermehrt werden? Klassische Anlageformen wie Aktien, Anleihen und Fonds – grün oder nachhaltig etikettiert - sind laut den Kritikern reine Mogelpackungen. Es gibt Möglichkeiten, sein Geld grün und politisch korrekt anzulegen, heißt es auf der Seite der „Finanz-Wesirs“. Aber ethisch Anlegen macht eine Menge Arbeit, ergänzt der Wesir. Einfach mal so schnell einen Fonds auswählen, ist Ablasshandel.
Auch Professor Lanzavecchia teilt diese Überlegungen. Einen Fonds oder Bonds „green“ zu etikettieren, reicht tatsächlich nicht aus, wird zur Irreführung. Das langjährige Experiment der Raiffeisenkasse Bozen mit dem Ethicalbanking findet Lanzavecchia richtungsweisend. Die Spargelder werden in nachhaltige Projekte in der Landwirtschaft oder in der Stromwirtschaft investiert, vor Ort, also nachprüfbar. Lanzavecchia beschreibt dieses Modell als eine Renaissance der Ideen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Bedürftigen helfen ohne Gewinnstreben, das war für Raiffeisen praktizierte christliche Nächstenliebe, für die er auch Wohlhabende gewinnen konnte.
Hier hakt Lanzavecchia wieder ein. Die jüngsten Entwicklungen, auch angestoßen von der EU, stellen Banken und Finanzdienstleister vor besonderen Herausforderungen. Wie werden die Banken die Nachhaltigkeit für ihre eigene Organisation definieren, wie werden sie nachhaltig mit den Sparguthaben umgehen, wie schaut nachhaltiges investieren aus, Zitat aus einem „White Paper“ des Terra Instituts. In Deutschland bekennen sich die genossenschaftlich aufgestellten Sparkassen zu einem klimafreundlichen und nachhaltigen Wirtschaften. „Mit unserer regionalen Verwurzelung, unserer Mitglieder- und Kundennähe sowie mit unseren genossenschaftlichen Werten können wir das Thema Nachhaltigkeit glaubwürdig leben“, betont Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken. Damit verpflichtet sich der Verband, die Verpflichtung zu übernehmen und seine Mitglieder bei der Umsetzung zu unterstützen. Ausgangspunkt ist das 2020 entwickelte Nachhaltigkeitsleitbild der genossenschaftlichen FinanzGruppe, ein Bekenntnis zu den Zielen der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens. Auch in seinem Positionspapier „Nachhaltigkeit fördern – Finanzstabilität bewahren“ vom November 2020 bezieht der BVR klar Stellung: „Nachhaltigkeit gehört zum Markenkern der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken.“
Die genossenschaftlichen Banken verpflichten sich auch, die Grundsätze für verantwortungsbewusstes Bankwesen der Vereinten Nationen (die Principles for Responsible Banking der Finance Initiative des United Nations Environment Programme UNEP) zu übernehmen.
Die Bankenszene ist in Bewegung. Jetzt sind die Banken dran, ihre Nachhaltigkeitsphilosophie zu definieren. Wie könnte diese Definition lauten? Die deutsche Bundesregierung spricht in ihrem Nachhaltigkeitsbericht von einer „wirtschaftlich leistungsfähigen, sozial ausgewogenen und ökologisch verträglichen Entwicklung“. Grundlage dafür ist die Generationengerechtigkeit. So heißt es im Brundtland-Bericht von 1987, der als Beginn des weltweiten Diskurses über Nachhaltigkeit gilt: „Dauerhafte Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“.
Professor Lanzavecchia würdigt das Ethicalbanking der Raiffeisenkasse Bozen als eine Vorwegnahme der oben beschriebenen Entwicklung. Das Ethicalbanking bleibt die Grundlage, das Modell, sagt Lanzavecchia und sollte erweitert werden. Hin zur Bank für das Gemeinwohl. Diese Entwicklung dorthin könnte die Mission der Zukunft sein, schreibt Professor Lanzavecchia. Zeichen dafür gibt es genügend. Laut einer Erhebung der Bertelsmann-Stiftung wünscht sich eine übergroße Mehrheit in Deutschland und in Österreich eine neue Wirtschaftsordnung. Die angedachte Gemeinwohl-Ökonomie ist das alternative Gegenstück zum neoliberalen Kapitalismus und zur zentralistischen Planwirtschaft.
Diese „Szene“ wächst seit 2010 kontinuierlich an. Die Ideen sind nicht neu, sondern zeitlose Werte und auch in den verschiedenen europäischen Verfassungen verankert. Ein Zitat aus der bayerischen Verfassung: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“, heißt es unmissverständlich. Laut dem deutschen Grundgesetz verpflichtet Eigentum und sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Auch der Südtiroler Landtag bekennt sich in einem Beschluss-Antrag zur Gemeinwohl-Ökonomie. In Südtirol folgen 70 Unternehmen dem von der EU empfohlenen System. Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ widmete dem Hotelier Michil Costa und seinem Hotel La Perla in Badia eine Reportage.
Diese Bewegung startete 2010 in Österreich, Bayern und Südtirol mit einer überschaubaren Anzahl klein- und mittelständischer Unternehmen. Heute unterstützen 2300 Unternehmen aus 50 Staaten die Bewegung, 500 haben eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt, freut sich der österreichische Wissenschaftler Christian Felber. Darunter befinden sich laut Felber so unterschiedliche Unternehmen wie die Sparda Bank München, der Outdoor-Ausrüster VAUDE, der Autozulieferer elobau, der Waldviertler Kräutertee-Hersteller Sonnentor, die FH Burgenland oder die Herzogsägmühle in Oberbayern.
Die Bewegung setzt sich fort, führt Felber weiter aus. So entstehen Gemeinwohl-Gemeinden in Italien, Spanien, Österreich und Deutschland. Stuttgart hat zwei Kommunalbetriebe bilanziert, rechnet Felber vor, Mannheim folgt 2019 mit vier. Großes Interesse herrscht auch an Schulen, Hochschulen und Universitäten. Ein Lehrgang Angewandte Gemeinwohl-Ökonomie ist 2018 in Österreich gestartet, an der Universität Valencia erforscht der erste Lehrstuhl die Gemeinwohl-Ökonomie.
Auch die ersten Regionen fördern das neue Modell. Salzburg und Baden-Württemberg haben die GWÖ im Regierungsprogramm. Das spanische Bundesland Valencia bereitet das erste Fördergesetz für bilanzierte Gemeinwohl-Betriebe vor und unterstützt schon jetzt KMU, Vereine und Bildungsträger, wenn sie alternative Wirtschaftsansätze verbreiten. Den bisher größten politischen Erfolg feierte die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung auf EU-Ebene. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss nahm eine Stellungnahme zur Gemeinwohl-Ökonomie mit übergroßer Mehrheit der Stimmen an und empfiehlt ihre Einfügung in den Rechtsrahmen der EU.
Über diese Entwicklung müssten sich die Raiffeisenkassen freuen. Mit seiner Idee legte Raiffeisen den Grundstein für eine Gemeinwohl orientierte genossenschaftliche Wirtschaft. Eine doch überzeugende Erfolgsgeschichte, die zum Weitermachen verpflichtet. Gerade in dieser Zeit. Finanzwissenschaftler Lanzavecchia ist überzeugt, dass Raiffeisenkassen für die neue Zeit das Rüstwerk in der Hand haben, sich in eine Bank für das Gemeinwohl umzuwandeln und umzubauen. „Sie haben die Wahl“, sagt Lanzavecchia und meint mit sie die Raiffeisenkassen und ihr gelungenes Experiment des Ethicalbankings.
Zum Nachstöbern:
Geld ethisch und nachhaltig anlegen | Finanzwesir
DE_210330_terra_whitepaper_pics.indd (terra-institute.eu)
Gemeinwohl Ökonomie - ein Kurzportrait von Michil Costa (xn--sdtirol-insider-zvb.de)
Südtiroler Öko-Pioniere: Zum Wohl! - DER SPIEGEL
www.dsgv.de/unsere-verantwortung/selbstverpflichtung-klimaschutz