"Produktives Geld ist Kapital"
Für die Realwirtschaft statt für Blasen
Bei den Toblacher Gesprächen stand der New Green Deal der EU-Kommission im Mittelpunkt der Diskussion. Wie grün ist dieser Deal und ist er dazu angetan, auch die aktuelle – recht blasige, so die Bewertung von Analysten – internationale Finanzwirtschaft nachhaltig umzubauen?Schwierige Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Es gibt aber Antworten. Beispielsweise jene von Ulrike Herrmann, ausgebildete Bankkauffrau, Wirtschaftsjournalistin und Autorin mehrerer Bücher über den Kapitalismus.
Der Kapitalismus geht uns alle an, schreibt Herrmann. Er ist ein totales System, das alle Lebensbereiche durchdringt. Daher sollte jeder wissen, wie er funktioniert, plädiert Herrmann für eine „ökonomische Alphabetisierung der Massen“, um den Soziologen Pierre Bourdieu zu zitieren.
„Der Begriff Kapitalismus hat den Vorteil, dass er präzise beschreibt, was die heutige Wirtschaftsform auszeichnet: Es geht um den Einsatz von Kapital mit dem Ziel, hinterher noch mehr Kapital zu besitzen, also einen Gewinn zu erzielen. Es handelt sich um einen Prozess, der exponentielles Wachstum erzeugt.“
Eine klare Definition. Und weiter:
„Nicht durch niedrige Löhne wird der Kapitalismus angetrieben, sondern durch hohe. Nur wenn die Arbeitskräfte teuer sind, lohnen sich technische Innovationen, die die Produktivität steigern und damit Wachstum erzeugen.“
Die öffentliche Hand als Gestalter
Ulrike Herrmann erklärt, wie der Kapitalismus entstanden ist und räumt dabei mit diversen Missverständnissen auf. Sie erläutert, warum wir nicht in einer Marktwirtschaft leben, Kapital nicht das Gleiche wie Geld ist, uns keine Inflation droht oder die Globalisierung keine Gefahr darstellt. Sie zeigt, warum der Kapitalismus ständig zu Krisen neigt und wie man ihn politisch steuern müsste. So wird deutlich, dass der Staat nicht der natürliche Feind des Kapitalismus ist - sondern ihn überhaupt erst ermöglicht.Herrmann zweifelt daran, dass eine klimaneutrale Wirtschaft stetig wachsen kann. Grünes Wachstum ist nicht möglich. „Wenn wir bis 2045 oder gar 2035 klimaneutral sein wollen, bleibt sehr wenig Zeit. Heute liegt der Anteil der Erneuerbaren am gesamten Energieverbrauch bei etwa 17 Prozent. Es ist völlig unklar, wie das in 30 Jahren auf 100 Prozent steigen soll“. Der Kapitalismus muss laut Herrmann wieder eingebettet werden in die soziale Marktwirtschaft, in der das gleichberechtigte Tarifspiel zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften gilt, in der die Leistung anerkannt wird und das Finanzsystem auf stabiler Grundlage funktioniert.
Ihre Schlussfolgerung: Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Zurück in die Zukunft also, zurück zu einem Kapitalismus, in dem Eigentum zum Allgemeinwohl verpflichtete, in dem es soziale Leitplanken gab, in dem Arbeitnehmer und Mittelstand vom Einkommen ein Auskommen hatten und sozial aufsteigen konnten.
Dafür braucht es aber einen starken Staat, besonders auch als „Pionierunternehmer“, die Politik als die Gestaltungsmacht. Eine weitere Voraussetzung ist laut Herrmann das Abrücken vom bisherigen System der Finanzwirtschaft. Die ökonomische „Zauberkraft“ ist erst dann gegeben, schlussfolgert Herrmann, wenn Geld Kapital finanziert, also wenn es produktiv investiert wird, befeuert es die Wirtschaft. Geld und Kapital sind eben nicht das Gleiche, klärt Herrmann auf. Geld wird nur zu Kapital, wenn es produktiv investiert wird, um Güter herzustellen. Eine Gesellschaft kann für die Zukunft nur dann vorsorgen, wenn sie in die Produktion von morgen investiert.
Abkehr vom Hyperkapitalismus
Die Aussagen von Herrmann überraschen, ist sie doch die Chefredakteurin der linken deutschen „Tageszeitung“. Sie steht damit aber keineswegs allein. So wirft Hans-Christian Lange der amtierenden politischen Elite vor, im Zusammenspiel mit Wirtschafts- und Finanzeliten „Gewinnmitnahmen“ über den Gemeinsinn zu stellen. Lange war Kanzleramtsberater, Mitarbeiter des CDU-Arbeitsministers Norbert Blüm und später Berater des Daimler-Chefs Reuter. Lange weiß, worüber er spricht.Beispielsweise über den Diesel-Abgas-Skandal der Autokonzerne, über die Mängel in der Geldwäschekontrolle der Deutschen Bank, die Steuerhinterziehungen durch die sogenannten „Panama-Papers“ und „Pandora-Papers“, den milliardenschweren Staatsbetrug durch „CumEx“ (das Ausnutzen von Gesetzeslücken zur Steuerhinterziehung) und den bandenmäßig organisierte Großbetrug des Dax-Konzerns Wirecard (die Kasse der Porno-Industrie, Zitat Oliver Welke, ZDF heute Show). Die Folge des Zusammenspiels der verschiedenen Eliten, kritisiert Lange.
All das lief auf Kosten des Mittelstandes, der für eine sozial ausbalancierte Wirtschaft stand. In der Finanzkrise wurden die Verursacher dieser Krise gerettet, nicht aber mittelständische Betriebe, wirft Lange dem Staat Parteinahme für die Geldelite vor.
Das fand eine Fortsetzung in Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, führt Hans-Christian Lange aus. Amerikanische Studien belegen, dass über die vergangenen Jahrzehnten 50 Milliarden Dollar vom ärmeren Teil der US-Bevölkerung nach oben umverteilt wurden. In Deutschland hält das oberste Zehntel der Bevölkerung 67 Prozent des Nettogesamtvermögens in Händen, dank abgeschöpfter Gewinne an globalen Aktienmärkten, erklärt Lange. Die davon weitgehend entkoppelte reale Wirtschaft liegt nach der Corona-Krise am Boden.
Denn, wen erklärte die politische Elite für systemrelevant? Es waren weniger mittelständische Unternehmen oder kleine Erwerbstätige und Angestellte als vielmehr globale Großkonzerne, die dem Land, in dem sie ihre Einnahmen erwirtschaften, an Steuern nahezu nichts zurückgeben, während für Normalsterbliche die Mietkosten explodieren, die Energiepreise steigen, die private Verschuldung steigt.
Auch Lange plädiert wie Herrmann für eine Rückkehr zu einer Mittelstandsgesellschaft, die es vor dem Hyperkapitalismus und Elitenversagen erfolgreich gab. Und Lange wirbt für neue Modelle des ethischen Finanzierens.
In Südtirol ist damit seit über 20 Jahren Ethical Banking erfolgreich aktiv. EB und seine Investitionen in nachhaltige Wirtschaftssektoren sind vor Ort nachprüfbar und damit nachvollziehbar.